Januar 2022 | 1. – 15. Januar

Wenn Omikron uns alle erwischt, was dann? Kurzes Chaos und dann endlich Schluss mit Pandemie? Scholz und die Impfpflicht: genialer Taktiker oder Weichei? Außerdem: Zoff mit Brüssel – Atom nein, Gas ja. Was machen die Grünen?

Inhaltsverzeichnis

Kindeswohl

Die gute Nachricht nach den neuen Corona-Beschlüssen: Auch Kinder dürfen jetzt nach Risikokontakten schneller wieder in Schule oder Kita. Gut so, denn Omikron macht sie selten schwer krank. Endlich nimmt die Politik das Wohl der Kleinsten in den Blick. Zu lange haben Kinder und Jugendliche zum Schutz von uns Älteren leiden müssen. Und sie leiden immer noch. Distanz, Präsenz? Ein ewiges Hin und Her.

Die schlechte Nachricht: Mit der verkürzten Quarantäne geht die Politik ein Risiko ein. Hintergrund ist zwar die Sorge um die kritische Infrastruktur wie Polizei, Feuerwehr, Energieversorgung und den medizinischen Einrichtungen. Vor allem aber geht es darum, die Wirtschaft zu schützen für den Fall, dass Omikron Tausende von Arbeitskräften flachlegt.

Bärendienst

Noch weiß man nicht ausreichend viel über die Infektiösität und den Krankheitsverlauf von Omikron. Die Frage ist doch, ob man sich nicht einen Bärendienst antut, wenn man potenziell Infizierte frühzeitig in den Job zurückschickt und damit für noch schnellere Verbreitung des Virus sorgt. Damit trägt die arbeitende Bevölkerung mal wieder die ganze Last und das Risiko.

Nicht nur das: Die Entscheidung, die Quarantäne-Zeiten zu verkürzen, birgt nicht nur medizinische Risiken. Sie sendet auch unterschwellig ein falsches  Signal an Impfskeptiker und Corona-Verharmloser. Die sagen jetzt: Seht mal, alles halb so schlimm, wir haben Recht, die Coronapolitik ist völlig überzogen.

Zu wenig Biontech

Die neuen Regeln offenbaren ein bekanntes Muster, das der gesamten Corona-Politik zu Grunde liegt: Zu spät, zu zögerlich und zu wenig. Die verantwortlichen Politiker haben es trotz der eindringlichen Aufrufe und Warnungen der Wissenschaft nicht geschafft, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, die Inzidenz vor der Omikron-Welle niedrig zu halten. Etwa durch frühzeitiges Boostern.

Jetzt, da die Impfkampagne eigentlich auf Hochtouren laufen soll, fehlt mal wieder Impfstoff, genauer das Biontech-Vakzin. Landauf land ab klagen Ärzte, dass sie nicht ausreichend Impfstoff erhalten, oft sogar weniger als die maximale Bestellmenge von 30 Dosen.

Das Problem: Ausgerechnet viele junge Menschen, die sich endlich durchgerungen haben, sich impfen zu lassen, werden wieder nach Hause geschickt. Für Personen unter 30 kommt nur das Biontech-Vakzin in Frage, aber das ist überall Mangelware.

Unklare Datenlage

Beschaffungsproblem oder Verteilungsproblem? Egal. Das Versagen ist evident. Und typisch, dass mal wieder niemand da ist, der die Verantwortung übernimmt. Ähnlich evident ist das Versagen von Politik und Verwaltung bei den Daten. Niemand weiß genau, wie hoch die Zahl der Infizierten ist. Viele Gesundheitsämter können das Infektionsgeschehen nicht mehr nachverfolgen. Personalmangel und fehlende digitale Ausrüstung.

Die nicht verlässliche Datenlage vergrößert nicht nur die Verunsicherung der Bevölkerung. Versäumnisse und Unfähigkeit bedrohen das Vertrauen in die Regierungen, in die Parteien und die Funktionsfähigkeit des Systems.

Luxusproblem

Wenn wir das Impfstoff-Dilemma allerdings global betrachten, wird es bei uns zum Luxusproblem. Und zur berechtigten Klage der Länder in der sogenannten Dritten Welt. Bei uns sind bereits über70 Prozent der Bevölkerung geimpft.

In Ländern mit niedrigen Einkommen haben gerade mal nur sieben Prozent der Menschen ihre Erstimpfung erhalten. Ein Skandal! Die ungleiche Verteilung könnte sich rächen. Weil der Impfstoff in ärmeren Ländern fehlt und viele Menschen ungeschützt sind, könnte dort das erfindungsreiche Virus Möglichkeit neue Varianten bilden. Pandemie und kein Ende. Eine Horrorvorstellung!

Corona-Schwurbler

Affentanz um die Impfpflicht. In der vordersten Reihe die FDP. Zuerst Wolfgang Kubicki. Der egomanische Kneipengänger und Corona-Schwurbler behauptet gar, die Mehrheitsgesellschaft übe an den Ungeimpften Rache und Vergeltung. Was für ein seniler Schwachsinn! Es sind die Ungeimpften, die die Menschenwürde aller anderen gefährden – das ist das Gegenteil von verantwortlicher Solidarität.

Dann Marco Buschmann. Der FDP-Justizminister mit der Aura eines Jurastudentem sinniert über die eine mögliche mangelnde Wirksamkeit von Impfungen gegenüber Omikron. Sollte die Spritze sowieso bloß zwei bis drei Monate wirken, sei eine Pflicht obsolet, sagt dieser Hobby-Virologe. Welch ein gefährlicher Blödsinn!

Wenn Politiker in Regierungsverantwortung die Debatte so führen, torpedieren sie die gerade auf Touren kommende Impfkampagne. Solche pauschalen und unbewiesenen Aussagen führen dazu, dass die Impfbereitschaft nicht bloß stagniert, sondern sogar sinkt.

Karneval stoppt Debatte

Auch Kanzler Olaf Scholz trägt mit Schuld am Affentanz um die Impfpflicht. Erst kündigt er im November vollmundig eine allgemeine Impfpflicht an. Bis spätestens März sollte darüber im Bundestag abgestimmt werden. Daraus wird nichts. Schuld daran ist der Karneval. Kein Witz! Wegen der Narretei tagen die Parlamentarier im Februar nur einmal. Keine Zeit sich mit Corona und Impfpflicht zu beschäftigen.

Nicht zu fassen: Karneval fällt überall aus. Nur nicht im Bundestag. Dabei wäre gerade Karneval ein Anreiz, sich mit der Impfpflicht zu befassen. Klar ist jedoch auch, dass die Impfpflicht sowieso zu spät kommt, wenn sie denn kommt. Gegenüber Omikron ist der Zug jedenfalls abgefahren. Omikron wird durchrauschen und ganz Deutschland infizieren. Wenn auch überwiegend mit milden Verläufen.

Impfpflicht obsolet?

Erledigt sich dann das Virus von selbst, weil wir dann Herdenimmunität haben? Ja, sagen manche Virologen und Mediziner und glauben, dass wir dann gar keine Impfpflicht mehr brauchen. Das hören wiederum manche Politiker gerne und zögern mit der Impfpflicht.

Andere Virologen und Epidimologen wie auch Gesundheitsminister Lauterbach raten indes zur Impfpflicht. Niemand wisse zur Zeit, ob, wie und wann neue Virusvarianten entstehen. Deswegen sei die einzig richtige Vorsorge eine Impfpflicht. Und die sollte lieber heute als morgen kommen. Was nun? Abwarten, durchlaufen lassen und unsichere Freiheit? Oder vorsorgen und Freiheit später, dafür aber sicherer? Schwierige Entscheidung.

FDP bremst

Impfpflicht – ja, nein, vielleicht? Viele Fragen sind offen. Nicht nur juristisch im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit. Weitere offene Fragen: Sollen alle Erwachsenen geimpft werden oder reicht – wie etwa Italien es plant – die Impfpflicht für Ältere. Wie soll die bestraft werden, die sich verweigern? Reicht überhaupt der Impfstoff? Und: Brauchen wir ein Impfregister?

Das größte Dilemma für Scholz liegt in der eignen Koalition begründet. Der Koalitionspartner FDP, beziehungsweise die FDP-Fraktion, steht nicht geschlossen hinter der Impfpflicht. Im Gegenteil. Viele Liberale lehnen sie als unverhältnismäßigen Eingriff in die körperliche Unversehrt ab. Und Parteichef und Porschefahrer Lindner kann seine Fraktion nicht bändigen. Daher ist eine eigenständige Mehrheit für die Impfpflicht auf der Regierungsbank extrem unsicher.

Weichei Scholz

Viele Fallstricke für Olaf Scholz. Vor allem will der windige und findige Taktiker nicht Schuld daran sein, wenn ein von ihm und seiner Regierung unterbreitetes Gesetzesvorhaben zur Impfpflicht scheitert. Also nimmt er den Bundestag in die Pflicht.

Auf den ersten Blick klingt das demokratisch. Schließlich ist der Bundestag auch der Gesetzgeber. Aber der Hintergrund ist eher die Angst vor der eigenen Courage. Scholz will sein Gesicht wahren, falls die Impfpflicht scheitert. Weichei! Mut und Führung sehen anders aus.

Habeck schäumt

Europa und Deutschland. Da bahnt sich auf den ersten Blick Zoff an. Gerade sind bei uns weitere drei Atomkraftwerke endgültig abgeschaltet worden. Gleichzeitig adelt die EU-Kommission Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke als klimafreundlich und nachhaltig.

Kein Wunder, dass Robert Habeck und die Grünen schäumen und auf 180 sind. Investitionen in neue Kernkraftwerke sollen als grün klassifiziert werden, wenn die Anlagen neuesten technischen Standards entsprechen und ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt wird. Welch ein Schwachsinn!

Was bitte schön ist an Atomkraftwerken grün? Atomenergie ist CO₂-neutral, argumentieren Atombefürworter. Atomkraftwerke liefern Energie, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Augenwischerei!

Endlager nirgendwo

Atomenergie ist nicht klimaneutral: Unmengen an CO2-Emissionen beim Uranabbau in den Bergwerken, klimaschädlicher Zement beim Bau von Atomkraftwerken. Atomenergie ist und bleibt eine Hochrisikotechnologie: Strahlenschäden. Atommüll, der eine Million Jahre sicher endgelagert werden muss. Nirgendwo auf der Welt ein Endlager bis jetzt. Nicht zu vergessen: die atomaren Katastrophen in Fukushima und Tschernobyl.

Das alles scheint die EU-Kommission nicht zu interessieren. Sie stellt die Reaktoren ebenso wie neue Erdgaskraftwerke auf eine Ebene mit Solar- und Windkraftanlagen. Kapitalisten und Finanzimperien dürfen jetzt ihre Profite machen mit Atomkraftwerken und Gaskraftwerken. Und dabei noch vermeintlich guten Gewissens. Sie tun ja scheinbar etwas für das Ziel der Klimaneutralität! Wie absurd ist das denn?

Unkalkulierbares Risiko

Es könnte aber sein, dass sich Privatinvestoren sich nicht trauen, in neue Atomkraftwerke zu investieren. Zu hoch die Anfangskosten: exorbitante Baukosten und millionenschwere Rücklagen, die wegen unkulkalierbaren Regulierungsrisiken gebildet werden müssen. Außerdem dauert es Jahre, bis neue Atomkraftwerke fertig sind und Gewinne fließen. Wertvolle Zeit, die besser in den Ausbau von erneuerbarer Energie investiert werden sollte, in Solar und Windkraftanlagen oder in Wärmepumpen für Heizenergie.

Macron jubelt

Das Ökosiegel für Atomkraft ist die eine Seite. Auch Gaskraftwerke will die EU-Kommission als klimafreundlich einstufen. Atom für Frankreich. Gas für Deutschland. Macron jubelt, Scholz grinst. Beide profitieren von der geplanten EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen. Extrageld für eine Horror-Technologie, Extrageld für eine fossile rückschrittliche Energie.

Knapp 70 Prozent der Energie kommt in Frankreich aus Atom-kraftwerken. Und Macron will das Land mit noch mehr Atommeiler bepflastern. Der französische Staatspräsident mit der Macht eines Napoleons hält Atomkraft gar für einen Glücksfall und will eine Milliarde Euro in sogenannte Mini-Atomkraftwerke stecken mit Leistungen von 900 bis 1450 MegaWatt.

Dank des Ökosiegels für Atomkraft hofft Macron auf milliardenschwere Anleger, die in Frankreichs Atomkraft investieren wollen. Geld hat er dringend nötig. Der Kernkraftwerksbetreiber EDF, zu 80 Prozent in staatlicher Hand, ist mit 42,5 Milliarden Euro hochverschuldet. Und 200 000 Arbeitsplätze hängen an der Atomindustrie.

Kein Gas von Putin

Und Deutschland? Trotz der Grünen, die Gas eigentlich als fossile Energieträger verteufeln, setzt die Ampelkoalition auf Gaskraftwerke – als Zwischenlösung auf dem Weg zu einer Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen. Im Koalitionsvertrag steht glasklar, dass Gaskraftwerke eine wichtige Brückentechnologie darstellen. Gaskraftwerke­ sind eine der vielen Kröten, die die Grünen schlucken mussten, um mitregieren zu können. Dennoch laufen die grüne Basis und Umweltschützer Sturm gegen die EU-Taxonomie – gegen beides. Gegen Atom und Gas.

Um die grüne Basis nicht zu vergraulen, beschimpfen auch der smarte Klimaminister Robert Habeck und die neue deutsche Umweltministerin Steffi Lemke Gas als nicht nachhaltig: Sie wollen keine Kraftwerke, in denen klimaschädliches Erdgas, womöglich noch solches vom bösen Putin, verfeuert wird. Sie möchten nur solche Kraftwerke am Netz gehen lassen, in denen grün erzeugter Wasserstoff eingesetzt wird.

Bonbon für Lemke

Habeck und Lemke wissen genau, dass diese Technologie noch nicht ausreichend entwickelt ist. Es ist jedoch eine der vielversprechenden und aussichtsreichen klimaneutralen Energien. Eben deshalb erhebt die EU-Kommission strenge Anforderungen für die Investition in Gaskraftwerke. Sie müssen Wasserstoff-tauglich sein und bereits ab 2026 mit CO2-armen Gasen betrieben werden. Ein Bonbon, den jetzt die neue deutsche Umweltministerin Steffi Lemke gerne annimmt.

Um das grüne Gesicht zu wahren, argumentiert sie mit sogenannter Risiko-Einschätzung. Im Gegensatz zur Atomenergie sei Erdgas keine Risiko-Technologie. Erdgas habe keine Endlagerproblematik, die nachfolgende Generationen belaste. Also akzeptabel, aber nur als Brückentechnologie. Ob das die grüne Basis beruhigt? Da ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig. Zeit, die die Grünen nicht haben.

Balance-Akt

Noch im Januar will die EU-Kommission in Brüssel über die EU-Richtlinie abstimmen. Die hat Gesetzeskraft. Das, was die Grünen am meisten auf die Palme bringt: Die atomfreundlichen Länder, allen voran Frankreich, haben in Brüssel die Mehrheit. Keine Chance für Blockade oder Verhinderung.

Um die Richtlinie abzulehnen, braucht es zwar nur eine einfache Mehrheit im EU-Parlament.Aber für die entscheidende Abstimmung in der Kommission 20 von 27 Regierungschefs, die 65 Prozent der Bevölkerung der EU vertreten. Das ist utopisch.

Deutschland ist in einem Dilemma. Einerseits vehementer Gegner der Atomkraft, andererseits Nutznießer von Gas. Was also tun? Der Ausweg: öffentlich mit „Nein“ stimmen – und dennoch von der ungeliebten Richtlinie profitieren. Ein scheinheiliger Balance-Akt.

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