März 2022 | 16. – 31. März

Ukrainekrieg: die Horrorbilder und das schlechte Gewissen. Warum die NATO ungleich stärker ist als Russland. Energie: Warum dem Entlastungspaket  die Weitsicht fehlt. Corona: Warum der Appell an Eigenverantwortung in die Hose geht.

Inhaltsverzeichnis

Kriegsverbrechen

Fünf Wochen Krieg. Ein Krieg, der täglich immer brutaler und rücksichtsloser wird. Bomben auf Kliniken, Theater, Supermärkte und Wohnhäuser. Weil sie militärisch nicht wie geplant vorankommt, greift Putins Armee die Zivilbevölkerung an. Kriegsverbrechen! Putin egal. Zermürbung, Aushungern und Demoralisierung der Menschen bis zur totalen Kapitulation. Das ist sein Ziel.

Zerbombte Städte, weinende Kinder. Hochschwangere Frauen, die schwer verletzt aus den Trümmern einer Entbindungsklinik geborgen werden. Männer, die mit Tränen in den Augen mitten in Mariupol Gräber für Hunderte von Toten ausheben. Horrorbilder täglich im deutschen Fernsehen. Täglich Berichte über den heldenhaften ukrainischen Widerstand, täglich Einschätzungen von Militärexperten, täglich bewegende Reportagen über Familien, die ukrainische Mütter mit ihren Kindern in ihren Wohnungen aufnehmen. All das schockiert, bewegt zutiefst.

Schlechtes Gewissen

Trotz allem: In die Anteilnahme, Solidarität und Ohnmacht mischt sich ein weiteres merkwürdiges Gefühl. Das Gefühl, dass ich mich an die Bilder gewöhne. Schlimmer noch, dass ich die grauenhaften Bilder gar nicht mehr sehen will – und abschalte. Ich will, dass es endlich Frieden gibt. Und ich ertappe mich dabei, dass ich sehnsüchtig darauf warte, dass der Fernsehabend endlich beginnt.

Schlechtes Gewissen? Ja, irgendwie schon. Was kann ich persönlich noch mehr tun gegen den Wahnsinn? Spenden, demonstrieren, Hilfspakete packen. Das ist wenig. Aber es gibt das Gefühl, wenigstens ein bisschen solidarisch zu sein. Viele meiner Freunde und Bekannten ringen mit ähnlichen Gefühlen. Ein wenig hilft es, mit ihnen darüber zu reden.

Atombomben

Putins verbrecherischer Krieg hat Deutschland kräftig durcheinandergewirbelt. Politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Angst davor, dass Krieg auch zu uns kommt. Angst vor steigenden Preisen. Angst vor Verlust des bisher behaglichen Wohlstandes. Zeitenwende brutal. Nichts ist mehr, wie es war.

Quasi über Nacht wandelt sich Deutschland vom Pazifisten zur Militärmacht. Das gigantische Aufrüstungspaket: Ankauf von F-35 Tarnkappenbombern, die sogar Atombomben transportieren können. Selbst bewaffnete Drohnen sollen angeschafft werden. Militärische Abschreckung mit todbringenden Waffen wird plötzlich zum probaten Mittel. Und wird sogar von zwei Ditteln aller Deutschen befürwortet. Ohne irgendeine Diskussion. Welch ein Wandel! Welch ein Wahnsinn!

Kaum Kritik

Verhaltene Kritik bei der Basis der ehemaligen grünen Friedenspartei. Die 100 Milliarden Euro aus dem geplanten Sondervermögen Bundeswehr sollen in Wind- und Solarkraft statt in ein Wettrüsten fließen, fordert die grüne Jugend. Aber die Führungsriege und die grünen BundesministerInnen tragen nicht nur den militärischen Kurs mit, sondern sind von der Richtigkeit überzeugt.

Ob Baerbock, Habeck oder Parteichef Nouripour, sie alle verteidigen die Anschaffung neuer Waffen. Auch SPD-Generalsekretär Kühnert, der sich selbst als Antimilitarist bezeichnet, ist für die Aufrüstung. Er will angesichts des russischen Angriffskriegs „die Logik des Militärischen nutzen“, sagt er. Dabei ist klar, dass unsere massive Aufrüstung den Menschen in der Ukraine nicht helfen kann.

NAT0 viel stärker

Die massive Aufrüstung in allen Nato-Staaten als Abschreckung ist überhaupt der falsche Weg. Das vorhandene Waffen-Arsenal der Nato war schon vor dem Ukrainekrieg gigantisch im Vergleich mit Russland.

Die gemeinsamen Rüstungskosten der NATO belaufen sich derzeit auf 1100 Milliarden Dollar, 40 Prozent davon gehen aufs Konto der USA. Russland gibt dagegen „nur“ 61 Milliarden Dollar für die Rüstung aus. Allerdings hat das militärische Ungleichgewicht zwischen NATO und Russland Putin nicht davon abgehalten, seine Armee das Nachbarland überfallen zu lassen.

Trotzdem muss die Frage gestellt werden. Was bringen noch mehr Waffen? Nichts, außer Profite für die Waffenindustrie. Gefährlich: Hochrüstung birgt die Gefahr einer Rüstungsspirale und einer weiteren Eskalation der Gegensätze. Genau das brauchen wir nicht angesichts globaler Herausforderungen wie der Klimakatastrophe. Da ist Kooperation angesagt statt Konfrontation!

Kotau vor dem Scheich

Habecks Bückling vor dem Ölscheich in Katar. Ein Kotau vor einem Regime, an dessen Händen Blut klebt. Ein Bild, das deutlich das Dilemma zeigt, in dem Deutschland steckt. Weg vom Russengas und Russenöl. Und zwar möglichst schnell. Damit Putin das Butvergießen in der Ukraine stoppt, weil er dann seinen verbrecherischen Krieg nicht mehr mit den Einnahmen aus den Gas- und Ölexporten finanzieren kann.

Importstopp sofort. Das will US-Präsident Biden, das wollen viele Länder in der EU. Nur wir Deutsche nicht. Zu sehr hängen unsere Industrie, Energieversorgung, Strom und Wärme am russischen Tropf.

Pest und Cholera

Jetzt rächt sich die jahrelange Abhängigkeit Deutschlands vom russischem Gas und russischem Öl. Importstopp sofort? Das geht nicht so schnell, sagen Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck unisono. Angst um die eigene Wirtschaft, Angst vor steigenden Benzinpreisen und steigender Arbeitslosigkeit.

Was macht unsere Regierung? Sie hat Fortschritt und Klimawende versprochen. Putins Krieg hat alles verändert. Energiesicherheit heißt das Gebot der Stunde. Deswegen sucht Habeck hektisch schnellstmöglich Ersatz für russisches Gas. Gas aus Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten statt aus Russland. Die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Entlastungspaket

Dabei bietet sich angesichts der offenen zu Tage getretenen Abhängigkeit vom russischen Gas und Öl die Chance, wirklich Ernst zu machen mit einer radikalen Energiewende. Experten sagen, dass wir auf ein Drittel des russischen Erdgases kurzfristig verzichten können. Wie? Mit Energiesparen! Warum gibt es keinen Energiegipfel der Regierung, die das größte Energiesparprogramm aller Zeiten auflegt?

Stattdessen schnürt die Ampel schnell mal ein Entlastungspaket, das die Bürger von den gegenwärtig hohen Energiepreise entlasten soll. Wenigstens drei Monate lang. Auf diesen Zeitraum sind die Entlastungen befristet.

Neun-Euro-Ticket

Einmalig 300 Euro erhalten Erwerbstätige. Damit das Geld schnell kommt, soll es übers Gehalt gezahlt werden. Leider nicht einkommensgedeckelt, sondern Gießkanne. Alle profitieren, auch Gutverdienter. Immerhin: Die Pauschale ist einkommsteuerpflichtig, daher haben Beschäftigte mit einem geringen Einkommen netto etwas mehr davon als Gutverdiener. Familien erhalten zusätzlich einen Kinderbonus von 100 Euro.

Gut an hört sich auf den ersten Blick das subventionierte Neun-Euro-Ticket, das ebenfalls für drei Monate gilt. Für neun Euro pro Monat sollen alle Bürger solch ein Nahverkehrsticket kaufen können. Gut für Städter. Jedoch auf dem vom ÖPNV vernachlässigten Land wird kaum jemand davon profitieren.

Unsinniger Tankrabatt

Die Ampel will eigentlich den Umstieg auf den ÖPNV fördern. Deshalb ist ein Tankrabatt für Autofahrer völlig kontraproduktiv. Trotzdem gibt es ihn. Die FDP-Porschepartei hat sich mal wieder durchgesetzt. 14 Cent je Liter bei Diesel, 30 Cent bei Benzin. Beides auf drei Monate befristet und finanziert, indem die Energiesteuer für diesen Zeitraum gesenkt wird.

Wenn man dann noch an die erhöhte Pendlerpauschale denkt, wirkt das Oberziel, die Nutzung fossiler Energie langfristig abzuschaffen, wie blanker Hohn. Alles in Allem ein Schnellschuss und ein klassischer Kompromiss. Für jede Klientel der Ampelparteien ist etwas dabei.

Tempolimit!

Das Problem: Das Entlastungspaket ist zu kurzfristig gedacht. Es eignet sich nur dazu, dass wir BürgerInnen trotz hoher Energiepreise unseren Lebensstandard weiterhin halten können und weiter kräftig konsumieren. Es fehlen Weitsicht und Nachhaltigkeit. Vor allem fehlen wichtige Instrumente und Vorgaben, mit denen Energie gespart werden kann. Etwa die verpflichtende Absenkung der Raumtemperatur um ein bis zwei Grad in Haushalten, Industrie, Handel und Dienstleistungssektor. Unbedingt: Autofreie Sonntage für eine bestimmte Zeit.

Auf jeden Fall ist es angebracht, endlich ein Tempolimit zu beschließen. Das hieße zwar, den notorischen Widerstand der FDP brechen. Aber wann, wenn nicht jetzt, bietet sich die Chance für die Porschepartei, ihr anachronistisches Verhältnis zum Auto zu korrigieren.

Gleichzeitig müsste die Regierung den Ausbau der erneuerbaren Energien inklusive Stromnetze und Speicher beschleunigen. Genauso wichtig: eine großangelegte Kampagne samt Fördermöglichkeiten für den Einbau von Solardächern, Wärmepumpen sowie für die Gebäudesanierung.

Durchseuchung

Viele Corona-Regeln sind weg. Der Rest soll im April verschwinden. Sind wir wirklich befreit von Corona angesichts steigender Rekord-Infektionen? Offensichtlich schafft es die Bundesregierung nicht, strengere Regeln durchzusetzen. Die Egoisten von der FDP sind dagegen. Die sogenannten Vorkämpfer für die Freiheit haben sich durchgesetzt und können nun ihrem Egoismus frönen. Und das auch noch regierungsamtlich sanktioniert.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich mit Omikron einiges in der Gesellschaft geändert hat. Die Durchseuchung geht voran und ist durch nichts zu stoppen. Warum auch? Überwiegend milde Krankheitsverläufe. Intensivstationen sind nicht mehr am Limit. Fast jeder kennt jemanden, den es mit der Mutante erwischt hat. Oder war selbst betroffen.

Problem Freitesten

Niemand weiß, wie viele Menschen wirklich infiziert sind. Die Zahl der Infektionen liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit höher als die gemeldeten Infektionen. Schuld daran ist unter anderem folgende merkwürdige Praxis: Nach dem siebten Tag einer Infektion kann man sich mit einem zweiten PCR-Test aus der Quarantäne freitesten. Wenn man weiterhin positiv ist, muss man weitere drei Tage in Quarantäne bleiben. Das ist in Ordnung.

Das Problem ist jedoch: Man hat kein Anrecht auf einen dritten PCR-Test. Folglich weiß man nicht, ob man nicht doch noch positiv ist. Das verunsichert, weil man nicht weiß, ob man nicht munter das Virus weiterverbreitet. Warum ist das nicht geregelt?

Doppelter Lauterbach

Andererseits fehlen jetzt überall die MitarbeiterInnen. Nur noch 75 Prozent Kapazität in den Kliniken, weil die Beschäftigten wegen Corona krank sind und in Quarantäne müssen. Die Uniklinik Freiburg hat Angst, dass deswegen ganze Krankenstationen ausfallen. Um Infektionen zu verhindern, werden keine BesucherInnen mehr in die Klinik gelassen.

Angesichts solcher Zustände ist es fahrlässig, die Maskenpflicht in einer Zeit weitgehend abzuschaffen, in der sich das Virus wie noch nie verbreitet. Selbst der Corona-Expertenrat plädiert dafür, die Maskenpflicht wenigstens in Innenräumen und Bussen und Bahnen beizubehalten. Aber die Ampelregierung verhält sich wie ein trotziges Kind. Und macht das, was es will, bzw. was die FDP durchsetzt.

Das wird deutlich am doppelten Lauterbach. Auf der einen Seite warnt der private Lauterbach permanent auf Twitter vor den Gefahren von Corona. Als Bundesgesundheitsminister kuscht er andererseits vor der FDP, redet sogar die Aufhebung von Schutzmaßnahmen schön. Schwach!

Masken und Mainstream

Den vollmundigen Appell an die Eigenverantwortung halte ich für ein falsches Signal. Die Masken werden fast überall fallen – wider besseres Wissen. Selbst diejenigen, die eigentlich vorsichtig sind und die Maske lieber aufbehalten würden, werden sie ablegen. Mainstream und sozialer Gruppendruck werden dafür sorgen.

Auch in Betrieben und Verwaltungen wird bald Schluss sein mit dem schützenden Homeoffice. Nicht nur, weil viel Chefs darauf warten, wieder die Kontrolle zu übernehmen. Auch viele Beschäftigte werden wieder ins Büro kommen, weil sie denken, dass Chef und KollegInnen das erwarten. Mögliche Infektion mit Corona? Alles halb so schlimm! Wenn sich da manche Leichtgläubige nicht täuschen.

Es ist deshalb gut, wenn Länder wie Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern die grundlegenden Schutzmaßnahmen wie Masketragen bis Ostern verlängern.

Impflücke bleibt

Da die Omikron-Variante so glimpfliche Verläufe hat, hoffen viele Menschen, dass das Corona-Virus stets schwächer wird und bald verschwindet. Weit gefehlt. Corona bleibt. Die hohe Zahl der Ungeimpften bleibt auch. 12 Millionen Menschen in Deutschland haben noch keine Impfung.

Darunter fallen drei Millionen in der sogenannten vulnerablen Gruppe, also Menschen, deren Risiko schwer an Corona zu erkranken und womöglich zu sterben, besonders hoch ist. Klar ist auch, dass die Impflücke geschlossen werden muss. Nur so haben wir die Chance, dass die Zahl der Opfer gering bleibt und es kaum beziehungsweise gar keine Einschränkungen mehr gibt.

Klar ist aber auch, dass die Freiwilligkeit gescheitert ist. Die Menschen, die sich bisher nicht impfen ließen, werden sich auch weiterhin nicht überzeugen lassen. Da bleibt als geringstes Übel nur die allgemeine Impfpflicht.