Mai 2022 | 1. – 15. Mai
Tafeln für Bedürftige: Warum sie Alarm schlagen. Wachstum und Wohlstand: Warum Merz falsch liegt. Ukraine: Warum es zur Diplomatie keine Alternative gibt. Außerdem: Sex-und Justizskandal in Stuttgart
AFD kentert in Kiel
Inhaltsverzeichnis
Die gute Nachricht kommt aus dem hohen Norden. Ich meine nicht den Wahlsieg des aalglatten, ewig grinsenden Daniel Günther in Schleswig-Holstein. Bemerkenswerter und weitaus erfreulicher ist, dass die rechtsradikale AFD an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist.
Es ist das erste Mal seit ihrer Gründung, dass die AFD aus einem deutschen Landtag fliegt. Endlich! Die Wähler zwischen Kiel und Lübeck sind die ersten, die gemerkt haben, dass die Partei nichts hat außer Schall und Rauch und braune Gesinnung.
In Schleswig-Holstein ist die rechtsradikale Partei buchstäblich gekentert. Aber nicht untergegangen. Leider. Denn in Ostdeutschland, insbesondere in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist die AFD quasi Volkspartei. Dort empfinden die Menschen die AFD als politisches Ventil gegen das weitverbreitete Gefühl der Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Da muss dringend gegengesteuert werden.
Sturm auf Tafeln
Putins Angriffskrieg beschleunigt die Inflation in Deutschland immer stärker. Die gegenwärtige Inflationsrate liegt über 7 Prozent. Tendenz steigend. Das Leben wird immer teurer: explodierende Mieten, steigende Lebensmittelpreise und Energiekosten. Immer mehr Menschen mit niedrigen Einkommen stöhnen über die gesalzenen Preise im Supermarkt.
Fast ein Viertel der Haushalte unter 2500 Euro Nettoeinkommen können regelmäßige Ausgaben kaum noch bestreiten. Immer mehr Menschen sind auf Tafeln angewiesen, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Die erleben derzeit einen Ansturm von Menschen, die nicht mehr ohne Hilfe über die Runden kommen. Die Schlangen vor den Tafel werden immer länger. Dabei kommen die Tafeln selbst nicht mehr über die Runden.
Aufnahmestopp
Neben Rentnern, Geringverdienern, Alleinerziehenden reihen sich seit Wochen auch Geflüchtete aus der Ukraine ein. Viele Geflüchtete sind privat untergekommen und nicht in staatlichen Einrichtungen. Sie müssen sich selbst verpflegen. Geld haben sie keins.
Das bekommen sie erst, wenn sie behördlich registriert sind und einen Berechtigungsschein für Sozialleistungen haben. Das dauert. Deutsche Behörden sind bekanntlich nicht die schnellsten. Seit März ist die Zahl der Tafel-Kunden um mehr als ein Drittel gestiegen. Die rund 1000 Tafeln und ihre ehrenamtlichen Helfer sind mittlerweile am Limit, können den Ansturm der Hilfesuchenden kaum mehr bewältigen.
In vielen Einrichtungen gibt es einen Aufnahmestopp. Manche Tafeln rationieren die Produkt-Verteilung, andere geben Karten mit Zeitfenstern aus. Das Essen reicht einfach nicht für einen derartigen Ansturm. Viele Tafeln gehen auf dem Zahnfleisch, so dass sie ihre Kunden um Spenden bitten. Unfassbar!
Hamsterkäufe
Die Tafel-Helfer können nur verteilen, was da ist. Und es ist immer weniger da. Ein Grund: Die Lebensmittelspenden von Supermärkten gehen total zurück. Das liegt daran, dass Supermärkte wegen der gestiegenen Preise ebenfalls scharf kalkulieren und weniger bestellen. Besonders Ost und Gemüse.
Folglich bleibt weniger verderbliche Ware übrig, die an die Tafeln gehen kann. Außerdem macht sich die Unsitte von vielen Mitmenschen bemerkbar, die Hamsterkäufe tätigen. Neben Obst und Gemüse sind vor allem Grundnahrungsmittel wie Nudeln, Milchprodukte, Sonnenblumenöl und Konserven Mangelware.
Tafeln wurden ursprünglich gegründet, um Lebensmittel vor der Vernichtung zu retten und sie stattdessen bedürftigen Menschen zu geben. Mit der gegenwärtigen Entwicklung hat sich ursprüngliche Zweck der Tafeln entfremdet. Aus der einst karitativen Hilfe in Notfällen ist eine Regelversorgung geworden.
Staatliche Aufgabe
Manche Städte und Kommunen, etwa das sächsische Thorgau, verlassen sich sogar auf die vorbildliche Arbeit der Tafeln. Kein Wunder, dass die Tafeln Alarm schlagen und von den Kommunen mehr Unterstützung verlangen. Recht haben sie, denn Armutsbekämpfung und Versorgung von Bedürftigen ist eine staatliche, beziehungsweise kommunale Aufgabe.
Es kann nicht sein, dass Tafeln die ersten sind, die sich um die Versorgung von Bedürftigen und Flüchtigen kümmern. Mit Recht fordert Jochen Brühl, Vorsitzender der deutschen Tafeln, eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze auf mindestens 600 Euro. Aktuell gibt es 449 Euro im Monat, beispielsweise für Alleinstehende und Alleinerziehende. Da bleiben fünf Euro pro Tag zum Essen. Davon kann niemand satt werden.
Prinzip Gießkanne
Damit sind wir wieder beim Entlastungspaket der Bundesregierung. Entlastung für jeden. Das ist gut gemeint. Aber die Frage ist, ob die geplante Hilfe auch die Richtigen trifft. Eher nicht, denn die Entlastung funktioniert nach dem Prinzip Gießkanne. Energiezuschuss für alle Steuerpflichtigen. Also auch für Vermögende mit großen Häusern.
Die haben einen Energiezuschuss nicht nötig, weil sie die erhöhten Energiepreise locker stemmen können. Jedoch die hohen Energiepreise treffen gerade ärmere Haushalte mit besonderer Wucht. Sie profitieren von der Hilfe daher am wenigsten. Daher wäre jetzt eine soziale Nachbesserung nötig, gestaffelt nach Einkommen, beziehungsweise Bedürftigkeit.
Rentner allein gelassen
Völlig leer beim Entlastungspaket gehen Rentnerinnen und Rentner aus. Sie erhalten nix. Sie brauchen auch nix, sagt die Regierung. Sie verweist auf das Rentenplus in Rekordhöhe, das im Juli kommen soll. Damit habe der Staat die Senioren ausreichend bedacht. Fakt aber ist, auch Rentnerinnen und Rentner müssen heizen. Auch sie brauchen Strom, auch sie müssen einkaufen. Fakt ist auch, dass die hohe Inflation den Zuwachs der Rentenerhöhung wieder auffrisst.
Höhepunkt überschritten?
Friedrich Merz, der CDU-Mann mit den Rezepten von gestern, hat sich mal wieder ins Fettnäpfchen gesetzt. Ich meine nicht seine Kiew-Reise, mit der er sich profilieren und unseren Zauderkanzler Scholz düpieren wollte.
Nein, ich meine seine Aussage, dass wir den Höhepunkt unseres Wohlstandes hinter uns haben. Eine typisch unbedachte Merz-Äußerung, die echt zynisch klingt. Und wieder einmal das elitäre Denken des Multimillionärs kennzeichnet. Wessen Wohlstand meint er?
40 Prozent der Deutschen haben praktisch kein Erspartes, weil sie ihr monatliches Einkommen ausschließlich für den Lebensunterhalt benötigen. Deutschland hat einen der größten Niedriglohnbereiche in Europa. Das Armutsrisiko nimmt zu, obwohl die Arbeitslosigkeit sinkt. Hingegen steigt die soziale Ungleichheit in Deutschland.
Merz und der Wohlstand
Auf der anderen Seite steigen die privaten Vermögen. Selbst in der Pandemie ist das zusätzliche Vermögen der deutschen Milliardäre um mehr als 100 Milliarden Euro gewachsen. Und die FDP wehrt sich mit Klauen und Zähnen gegen Umverteilung und Vermögens- und Erbschaftssteuer. Schamlos!
Es sind Vermögende wie Merz, die Wohlstand haben und ihn auch nur in materieller Form begreifen. Als eine Anhäufung in Form von Geld, Vermögen oder anderen Luxus. Voraussetzung und Grundlage für diesen materiellen Wohlstand ist stetiges und maximales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Kein Wunder, dass einer wie Merz so einseitig und kapitalistisch denkt.
Wie wichtig ist Frieden?
Dabei kann Wohlstand auch in anderen Kategorien empfunden und gemessen werden. Etwa in Kategorien, wo Gesundheit, Umwelt und Klimaschutz, ein sicherer Arbeitplatz, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit größere Rollen spielen.
Erstaunlich ist dennoch, dass selbst in der Coronakrise die Mehrheit der Deutschen sich mehr um den eigenen Wohlstand sorgte als um ihre Gesundheit. Armes Deutschland, wenn tatsächlich so viele denken wie Friedrich Merz. Andererseits sorgt sich die jüngere Generation mehrheitlich um Klima- und Umweltschutz. Das lässt hoffen.
Ekelhafter Zynismus
Der 9. Mai in Moskau. Traditionell ein russischer Feiertag, bei der der Staatspräsident eine Militärparade zum sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland abhält. Diesmal kommt es zu einer unheilvollen Vermischung von ruhmreicher russischer Geschichte und dem verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Putin erdreistet sich in seiner Rede, die ungeheuren Opfer und das Leid der Russen im Zweiten Weltkrieg zu missbrauchen, um den Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen. Er verbrämt seinen Angriffskrieg als Präventivschlag und als Verteidigungsmaßnahme gegen westliche Aggression. Welch ekelhafter Zynismus!
Das einzig Gute an seiner Rede ist das, was er nicht sagt, beziehungsweise nicht sagen kann. Er kann an diesem Tag keinerlei Sieg verkünden. Seine Truppen kommen einfach nicht voran. Er traut sich nicht, die gefürchtete Generalmobilmachung ausrufen.
Mutige JournalistInnen
Zum Leidwesen tausender Zuschauer gibt es keine Flugschau. Angeblich zu schlechtes Wetter. Vermutlich zutreffender ist, dass die Flugzeuge in der Ukraine gebraucht werden. Alles Anzeichen dafür, dass es doch nicht alles nach Plan läuft, wie es in Moskau mantraartig wiederholt wird.
Bewundernswert der Mut von einigen JournalistInnen der staatsnahen Nachrichtenagentur lenta.ru. Sie haben die eigene Website gehackt. Am Morgen des 9. Mai haben sie die Wahrheit über den Verlauf der sogenannten Spezialoperation in der Ukraine veröffentlicht. Entgegen der offiziellen Linie, aber kurz, knackig und treffend.
„Wladimir Putin hat sich in einen erbärmlichen Diktator und Paranoiker verwandelt“, stand auf der Webseite. Zwar nur wenige Minuten, dann war die Meldung verschwunden. Aber es gab Tausende von Screenshots der Meldung, die den ganzen Tag in den sozialen Netzwerken zu finden war.
Siegt die Ukraine?
In der Ukraine geht das Morden unablässig weiter. Und die Ukrainer wehren sich weiter heldenhaft, erobern tatsächlich partiell russisch besetzte Gebiete zurück. Das lässt hoffen und gibt der ukrainischen Siegesgewissheit neue Nahrung, die Präsident Selenski unermüdlich betont. Gleichzeitig offenbart die russische Armee unerwartete Unzulänglichkeiten. Deren Stärke und Schlagkraft wird offenbar maßlos überschätzt.
Beides, der tapfere Verteidigungskampf der Ukrainer und die Schwäche russischen Streitkräfte, ermöglicht jetzt unverhofft die Perspektive eines ukrainischen Sieges. Wobei man bedenken muss, dass dieses Szenario nur möglich ist dank der immensen Geld- und Waffenlieferungen aus den USA und den westlichen Ländern.
Totale Schwächung
Dabei fällt auf, dass alle nur von Waffenliefungen reden. Mittlerweile von schweren Waffen, die nicht nur zur Verteidigung dienen, sondern zum Angriff. Selbst Deutschland, das zunächst gar keine Waffen abgeben wollte, steht jetzt an vorderster Font der Waffenlieferanten.
Mittlerweile mehren sich gar Stimmen, die eine totale Niederlage Russlands als Chance sehen. Ziel: Russland dauerhaft so zu schwächen, dass es für niemanden mehr eine Bedrohung sein kann. Für mich eine unsinnige und gefährliche Perspektive.
Wer eine Niederlage Russlands zum Ziel, beziehungsweise als Voraussetzung für eine Friedenslösung erklärt, der schürt eine weitere Eskalation und einen weltweiten Flächenbrand. Putin ist ein Mann, der nicht verlieren kann. Für mich ist es nicht vorstellbar, dass eine Nuklearmacht wie Russland eine Niederlage überhaupt riskiert. Er wird zum Äußersten greifen, bevor er verliert.
Gerhard Polt hat Recht
Es gilt unbedingt, einen offenen Krieg mit Russland zu verhindern, der außer Kontrolle geraten und auch nuklear eskalieren könnte. Da bin gleicher Meinung wie etwa Lars Eidinger, Gerhard Polt sowie die Professoren Reinhard und Wolfgang Merkel. die einen Brief an Olaf Scholz geschrieben haben.
Sie gehören zu der Gruppe von prominenten Intellektuellen, Künstlern, Wissenschaftlern, die einen Brief an Olaf Scholz geschrieben haben. Darin warnen sie vor der Lieferung schwerer Waffen und befürchten, dass der Ukraine-Krieg zu einem weltweiten atomaren Konflikt eskaliert. Ich kann die Argumentation der Prominenten nachvollziehen und unterstütze sie.
Was ich nicht verstehe, ist die aufgebrachte und polemische Kritik an dem Brief, die den Unterzeichnern vorwirft, dass sie feige seien und den Verstand verloren haben. Andererseits halte ich es für wichtig, dass endlich eine öffentliche Debatte über Krieg und Frieden und Haltung und Handlungen der deutschen Politik entsteht.
Diplomatie intensivieren
Für mich zählt nur eins: Die Bemühungen für einen schnellen Waffenstillstands, beziehungsweise für schnelle Friedensverhandlungen müssen intensiviert werden. Dazu gibt es keine Alternative. Ein Kampf um des Sieges willen bringt der Ukraine nichts außer noch mehr Leid und Toten. Und am Ende ein total verwüstetes Land. Der Krieg kann nur durch diplomatische Verahndlungen beendet werden. Wenn es in der Vergangenheit nicht geklappt hat, dann muss man es eben immer wieder probieren.
Sex-Skandal in Stuttgart
Jetzt geht es rund in Stuttgart, CDU-Innenminister Thomas Strobl muss um seinen Job bangen. Es geht um einen Sex Skandal und ob Strobl Dienstgeheimnisse verraten hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Innenminister wegen des Verdachts verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen, sie durchsuchte zudem sein Ministerium. Im Zentrum der Affäre stehen eigentlich Ermittlungen gegen einen führenden Polizisten. Der Mann soll eine Hauptkommissarin in einem Videochat sexuell belästigt haben.
Die Affäre Strobl
Die Sache kam raus, als ein Journalist der Stuttgarter Nachrichten über ein Anwaltschreiben berichtete, in dem der Anwalt Einspruch gegen die mittlerweile erfolgte Suspendierung des Polizisten einlegte. Pikant, es war Strobl, der das Fax an den Journalisten weiter gab. Ganz normal, es gehe ihm um maximale Transparenz, rechtfertigte sich jetzt Strobl vor dem Landtag.
Gegen die Transparenz-These spricht folgender Widerspruch: Strobl gab wenige Tage nach dem Bericht in den Stuttgarter Nachrichten bekannt, dass das Ministerium selbst nach dem Leck forsche. Als die Staatsanwaltschaft um eine Ermächtigung zur Ermittlung anfragte, wies der Innenminister diesen Antrag ab. Nachträglich stimmte er den Ermittlungen zu.
Wenig vertrauenserweckend
Beide Regierungsparteien, Grüne und CDU, stehen voll hinter Stobl, sehen keinerlei Vergehen. Die Opposition fordert seine Entlassung. Der grüne Landesvater Kretschmann, mit dem Strobl ein herzliches Arbeitverhältnis verbindet, bekennt sich ebenfalls zu seinem Vize und sieht den Koalitonsfrieden nicht in Gefahr.
Anders klingt der Landespolizeichef, der sagt, wenn Innenminister Strobl ein Polizist wäre, hätte ihn das Innenministerium schon längst suspendiert. Ich bin kein Jurist, aber irgendwie scheint mir das Verhalten Strobls nicht ganz koscher zu sein. Ein Innenminister, der vertrauliche Daten weitergibt und erst Ermittlungen blockiert, dann auf Druck diese zulässt, scheint mir wenig vertrauenserweckend.