Mai 2021 | 16. Mai – 31. Mai

Plötzlich ist alles anders. Die Inzidenzen fallen. Gastronomie und Hotellerie öffnen. Anlass zu Freude und Luftsprüngen? Oder doch Leichtsinn? Nicht alle über 70 sind geimpft. Aber Impfdrängler und junge Menschen machen Druck. Wird wirklich alles gut mit dem digitalen Impfpass?

Inhaltsverzeichnis

Blaue Brücke im Seepark

Zu Beginn ein paar Bemerkungen zu meinen Bildern und den Motiven: Frühlingsbilder, Bilder von Sonne, Fernweh und Strand – so schön auch die jüngsten sind, davon hab ich jetzt genug. Stattdessen beschränke ich mich gerade auf Motive aus der näheren Umgebung. Motive quasi vor der Haustür.

Habe ein wunderbares Aquarell vom Freiburger Seepark gemalt. Im Vorgrund hoch aufragende Binsen und Schilfgräser. Viele Stellen hab ich auf dem Papier weiß gelassen, damit die federartigen Blüten, bzw. Köpfe gut zur Geltung kommen. Im Hindergrund die Schwimmbrücke mit den blauen Kugel-Pontons.

Schwieriger als die Kugeln zu malen war es, die Brücke so anzudeuten, dass das Bild seine Tiefe nicht verliert. Meine Ergebnisnote: Zwei bis drei. Das nächste Bild ist aus der Not geboren. Es hat mit einer Wanderung zu tun, auf die ich mich gefreut habe, aber die ich nicht machen konnte.

Alter Steinbruch im Wald

Mit der Wandergruppe der Pädagogischen Hochschule Freiburg wollte ich von Ebringen über Pfaffenweiler nach Scherzingen marschieren. Aber ein starker Husten hat mich flachgelegt, ich musste absagen. Dachte schon Corona, weil ich mich auch schlapp fühlte. Es war wirklich nur starker Husten. Zum Glück.

Ich habe mir die Route und Fotos im Internet angeschaut. Schwer beeindruckt haben mich Fotos vom alten Steinbruch bei Pfaffenweiler. Arbeiterhütten mitten im Wald. Sogar die Schienen der stillgelegten Werksbahn liegen noch. Zeugnis alter Industrie in der Gegend. Cooles Motiv.

Den üppigen Wald tupfe ich mit einem Schwämmchen auf. Dach und Steinwände der Hütte male ich mit einer Mischung aus Ocker, Indisch Gelb. Eine winzige Spur Indigo verreibe für die alte Patina hinzu. Die Schienen ziehe ich mit einem Linierpinsel. Nicht schlecht, Herr Krüger-Sperling!

Lächelnder Lauterbach

Plötzlich ist alles anders. Noch vor 10 Tagen schlagen die Intensivmediziner Alarm, weil ihre Intensivstationen überzulaufen drohen. Jetzt sieht man überall lächelnde Gesichter, vor allem in der Politik. Jens Spahn grinst verschmitzt. Selbst bei Angela Merkel heben sich die Mundwinkel.

Sogar Karl Lauterbach, der näselnde Mahner der Nation, verkündet mit einem Lächeln: „Die große Zeit der Pandemie ist vorbei, es wird ein guter Sommer!“ Was ist denn da passiert? Die Inzidenzwerte sinken. Tatsächlich. Langsam, aber stetig, von Woche zu Woche.

Bundesweit sind wir sogar schon unterhalb der magischen Zahl 50. Was ist der Grund für dieses Wunder? Das Tempo der Impfkampagne. Nach dem verstolpertem Start geht es plötzlich schnell und effektiv. Endlich. Sage und schreibe 1 Million Dosen werden manchmal pro Tag verimpft.

Impf-Mobile fehlen

Was so rekordverdächtig klingt, ist allerdings bei Lichte besehen gar nicht mehr so rosig. Zwar hat mehr als ein Drittel der Bevölkerung den ersten Pieks erhalten, aber nur 12 Prozent haben auch die zweite Impfung.

Der Hammer ist, dass laut RKI-Wiehler noch immer mindestens ein Viertel der über 70-und 80jährigen nicht vollständig geimpft ist. Das ist Mist. Woran das liegt? Vor allem daran, dass viele der ältere Mitmenschen schwer zu erreichen sind.

Bekanntlich trauen sich viele Ältere nicht in die Impfzentren, bzw. sind nicht mobil genug. Anderer Grund: zu wenig Ärzte auf dem Land. Außerdem: In nur wenigen Kreisen gibt es impfmobile.

Das ist in Frankreich anders, wo Impfmobile von Dorf zu Dorf fahren und alle über 60 impfen. Sicherlich liegt es auch daran, dass es immer noch zu wenig Impfmittel gibt. Darüber klagen die Hausärzte unentwegt.

Durchsichtiges Manöver

Keine Besserung bei der Impfstoffverteilung in Sicht. Nur die vollmundigen Versprechungen von Jens Spahn, dass im Juni alles besser wird. Da will er doch tastsächlich die Impf-Priorisierung freigeben. Das heißt jeder, der will, kann sich impfen lassen.

Na, wenn das man nicht ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver ist. Auf Kosten der Hausärzte, die mittlerweile die Hauptlast der Impfungen tragen. Die Hausärzte wissen schon jetzt nicht, wo oben und unten ist. Telefondrähte der Praxen glühen, E-Mail-Accounts quillen über vor Anfragen nach Impfterminen.

Ein anderes Problem für viele Ärzte sind die Impfdrängler, die unter den fadenscheinigsten Argumenten den begehrten Pieks haben wollen. Manche sind wenigstens so dreist, ehrlich zuzugeben, dass Sie den Sommerurlaub schon geplant haben und vorher unbedingt geimpft werden wollen.

Dokumentation auf Papier

Logistik und Verteilung der Impfstoffe laufen immer noch nicht rund. Es ist immer erst wenige Tage im Voraus bekannt, wie viel Impfstoff an die Hausärzte geliefert wird. Erst dann können die Ärzte die entsprechenden Patienten-Listen abtelefonieren. Noch impfen die meisten nach Priorität. Wenn die jedoch aufgehoben wird, wird das Impfen endgültig zum Marathon für Ärzte. Wie sollen die dann noch Kranke behandeln, eigentlich ihre nicht unwesentliche Aufgabe?

Nicht zu vergessen der immense Verwaltungsaufwand, der mit dem Impfen einhergeht. Im digital-rückschrittlichen Deutschland wird die Impfdokumentation bekanntlich immer noch auf Papier geleistet.

Digitaler Impfpass

Das soll jetzt alles anders werden: supermodern und superdigital. Denn er kommt jetzt wirklich: der digitale Impfpass. Er funktioniert per Handy-App und QR-Code. Ab Mitte Juni ist er schon gültig in allen EU-Ländern. Nur bei uns noch nicht. Deutschland, weil es eben digital hinterher hinkt, hat mehr Zeit, den digitalen Impfpass auf den Weg zu bringen.

Jens Spahn verspricht: erster Juli. Wenn er da nicht den Mund erneut zu voll genommen hat. Da ist noch viel zu tun und viele Fragen offen. Der QR-Code für den digitalen Impfnachweis sollen Impfzentren, Arztpraxen und Krankenhäusern ausstellen. Da bleibt die Frage, wie so schnell die notwendige Software eingerichtet und das Personal geschult werden kann.

Die Hausärzte kündigen an, sich zu weigern, weil sie die Datenübertragung nicht als ihre Aufgabe sehen. Stimmt irgendwie. Auch bei der Erstellung des digitalen Impfpasses für bereits Geimpfte gibt es Streit. Das wollen gnädigerweise die Apotheken übernehmen, natürlich nur gegen angemessene Vergütung. Was denn sonst?

Andere ungeklärte Frage: Wie kommen Genesene an den digitalen Impfpass? Schließlich sind sie nicht geimpft, haben aber die Corona-Krankheit durchgestanden – wie auch immer.

Urlaub gerettet?

Ist der Sommerurlaub damit gerettet? Vielleicht. Noch ist der Urlaub im Ausland mit vielen Hindernissen verbunden. Die Vorfreude auf Sonne, auf Rosé und Caipirinha an der Strandbar mischt sich mit Unsicherheit. Was darf man wo und wie lange? Der Überblick fällt schwer.

Überall gelten andere Regel und Vorschriften. Aber klar ist immerhin, dass die Einreise in EU-Staaten für Geimpfte und Genesene sowie mit aktuellem Negativtest möglich ist.

Am lockersten hält es Österreich. Da öffnen Gastronomie und Hotels. In Italien und Frankreich zwar auch. Nur draußen darf man dort essen und trinken. Zu dem gelten in beiden Ländern noch Ausgangssperren. In Frankreich ab 21 Uhr, in Italien ab 22 Uhr. Und der Stadtbummel in Italien wird dadurch getrübt, dass man in der Öffentlichkeit Masken tragen muss. Im Park und auch am Strand.

Ich weiß nicht, ob da ein Kurztrip nach Paris oder an den Lago Maggiore die reine Freude ist. Immerhin, die Museen in Frankreich sind offen. Im Louvre wird endlich ein ungestörter Blick auf die Mona Lisa möglich sein, da jetzt keine Touristenhorden den Blick versperren. Trotzdem da bleibe ich lieber daheim. Auch auf einen Kurztrip an den Bodensee oder in den Schwarzwald habe ich keine Lust.

Gastronomie öffnet

Baden Württemberg ist als erstes Bundesland vorgeprescht und hat quasi über Nacht Hotellerie und Außengastronomie geöffnet. Zumindest dort, wo die Inzidenz unter 100 liegt, ist es vorbei mit der Kretschmannschen Vorsicht und Weitsicht. Das ist mir nicht geheuer. Das kommt alles zu Holterdiepolter.

Nicht nur, weil ich mich um einen Schnelltest bemühen müsste. Den müsste ich auch noch nach 48 Stunden wiederholen. Nee, kein Bock. Auch viele Hoteliers und Gaststättenbetreiber zeigen sich überrascht und können so schnell gar nicht ihren Betrieb aus dem Dornröschen-Schlaf wieder rausholen. Weil es ihnen zu riskant ist, eventuell bald wieder schließen zu müssen, machen manche gar nicht auf, andere warten ab.

Anders in Freiburg. Selbst die kleinsten Klitschen haben auf. Und es sind überwiegend junge Leute, die die Gunst der Stunde nutzen und in die jetzt geöffneten Lokale stürmen. Ich gönne es ihnen, halte mich aber zurück mit Cafe- und Restaurant-Besuchen.

Unverantwortliche Arroganz

Es brodelt unter den Jugendlichen. Kein Wunder. Auf alles, was Freude macht und was sie voran bringt, müssen sie verzichten: Partys, Kuscheln, Fußball, Fitnessstudios, Schwimmbad, Ausbildung, Minijobs, Studium. Die Latte der Einschränkungen ist lang.

Und jetzt das: Viele von uns Älteren lehnen das ungeliebte Astra Zenica ab und wollen dafür das vermeintlich bessere Vakzin Biontech. Dabei wirkt Astra nachweislich am besten für Menschen ab 60. Das ist kein Luxus-Problem von uns Älteren, das ist unverantwortliche Arroganz.

Im Grunde genommen klauen wir Älteren den Jüngeren den Impfstoff weg. Kein Wunder, dass die Jungen sauer sind und einen Hass auf uns Ältere schieben.

Kinder und Jugendliche leiden

Seit Monaten wird von Jugend und jungen Erwachsenen Solidarität eingefordert. Aber das Gefühl, abgehängt zu sein, wird immer größer. Schulen und Universitäten sind zu, aber Fabriken und Büros bleiben offen. Der Staat pumpt Milliarden in die Rettung von Lufthansa und TUI, hat aber kein Geld für Luftfilter und funktionierenden digitalen Unterricht.

Die Coronazeit macht vielen Kindern und jugendlichen schwer zu schaffen. Jedes dritte Kind zwischen elf und 17 Jahren leidet coronabedingt unter psychischen Auffälligkeiten, viele sind verängstigt verzweifelt und depressiv. Besonders betroffen: Familien mit niedrigen Einkommen.

Corona hat die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter geöffnet und das Empfinden, dass es in Deutschland ungerecht zugeht, weiter verstärkt.

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