Auskunftspflicht. 2-G-Regel. Keine Lohnfortzahlung: Daumenschrauben für Impfverweigerer. Ein sinnvoller Weg, um Herdenimmunität zu erreichen oder eine Sackgasse? Außerdem: Corona in der Schule. Was tun? Und: Würth-Museum im Elsass.
Inhaltsverzeichnis
Bist du geimpft?
In Deutschland wird diskutiert, in Ländern wie Frankreich und Italien wird gehandelt. Dabei geht um zwei elementare Dinge bei der Pandemie-Bekämpfung: um Auskunft über den Impfstatus, bzw. die Impfpflicht in bestimmten Bereichen.
Um es klar zu sagen: Ich bin dafür, dass der Arbeitgeber fragen darf, ob seine MitarbeiterInnen geimpft sind oder nicht. Es macht schließlich einen Unterschied zu wissen, ob in einem Großraumbüro alle geimpft sind oder die Hälfte der Beschäftigten ohne Schutz ist.
Trotzdem darf hier der Chef seine MitarbeiterInnen nicht nach ihrem Impfstatus fragen, genauso wenig wie der Bahnchef oder ein Handwerksmeister das darf. Nicht gut.
Privatsphäre
In Deutschland gibt es lediglich eine Auskunftspflicht für Menschen, die in Kliniken, Schulen, Pflegeheimen oder Kitas arbeiten. Natürlich hat der Arbeitnehmer im normalen Leben ein Recht auf Geheimhaltung seiner Gesundheitsdaten. Das Recht auf Privatsphäre darf nicht ausgehöhlt werden.
Aber solange die Pandemie Deutschland fest im Griff hat, sollten Datenschutz und Arbeitnehmerrechte hinten anstehen. Außerdem geben wir Geimpfte sowieso unsere Daten über die Covpass-App preis, wenn wir ins Restaurant oder zum Friseur gehen – freiwillig und ohne mit der Wimper zu zucken. Fühlen wir uns dadurch in unserer Privatsphäre verletzt? Ich jedenfalls nicht.
Keine Rücksicht
Ich bin mir nicht sicher, was bei der Entscheidung über die Auskunftspflicht den Ausschlag gegeben hat. Deutschlands Liebe zu umfassenden Datenschutz oder politische Taktierereien?
Vermutlich haben sich die zwei Regierungs-Parteien einfach nicht getraut, mehr zu machen. Kein potentieller CDU- oder SPD-Wähler soll verprellt werden, so kurz vor der Bundestagswahl. Das ist in Frankreich und Italien anders. Da nehmen weder Macron noch Draghi Rücksicht auf Wählerstimmen. In Frankreich und Italien besteht sogar eine Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitsbereich.
Fernbahn-Reisende in Frankreich sowie das Bahn-Personal müssen nachweisen, dass sie geimpft, getestet oder genesen ist. Auch die Beschäftigten in Gastronomie und Kultureinrichtungen müssen ihren Arbeitgebern einen Gesundheitspass vorlegen, der Auskunft gibt über eine Impfung, eine überstandene Corona-Infektion oder einen negativen Test. Finde ich richtig.
Konsequenter Schutz
Die Bundesregierung hat schon früh – und leichtfertig eine Impfpflicht für alle kategorisch abgelehnt. Sicherlich gehört es in demokratischen Gesellschaften wie der unseren nicht zu den Aufgaben des Staates, Bürgerinnen und Bürger bis zur letzten Konsequenz vor sich selbst zu schützen. Wenn man das weiterdenken würde, müsste der Staat das Rauchen oder den Alkohol verbieten.
Aber in dieser spektakulären Pandemie gibt es kein konsequentes Handeln. Sie ist ein Sonderfall, in dem es um das Verhältnis und die Abwägung von Freiheit und Sicherheit geht. Ein Masterplan existiert es nicht.
Deshalb laviert die Bundesregierung je nach Bedrohlichkeit der Lage. Mal haben die im Grundgesetz definierten Freiheitsrechte Vorrang, mal ist es der Gesundheitsschutz.
Späte Rache?
Die deutsche Politik setzt voll auf den Fortschritt der Impfkampagne. Aber der dümpelt dahin. Nur etwa 60 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. In den ostdeutschen Bundesländern verweigern besonders viele Menschen die Impfung.
Niemand weiß so recht, warum. Vielleicht die späte Rache dafür, dass sie sich nach der Wende über den Tisch gezogen fühlten? Bisher stuft die Bundesregierung das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung ebenso hoch ein wie den Gesundheitsschutz, auch wenn Impfgegner etwas anderes behaupten. Deshalb gibt es bei uns auch keine Impfpflicht im Gesundheitsbereich.
Die Furcht vor weiteren oder erneuten Freiheitseinschränkungen ist offenbar größer als die Angst vor dem Virus.
Appelle fruchten nicht
Aber was ist, wenn es nicht gelingt, 80 Prozent der Bevölkerung zu impfen, also Herdenimmunität zu erreichen? Wenn die Intensivstationen der Klinken im kommenden Herbst wieder an die Belastungsgrenze kommen?
Ich fürchte, dann entsteht erneut eine Debatte über die Impfpflicht. Zumindest dort, wo sich Menschen nicht ausreichend gegen die Delta Variante schützen können. Etwa in Pflegeheimen, Kitas und Grundschulen. Aber wie die restlichen 20 Prozent der Bevölkerung zum Impfen bewegen? Appelle fruchten nicht.
Baden-Württemberg macht jetzt ernst, führt strenge 2 G-Regeln ein. Die können sehr ungemütlich werden für Ungimpfte. Die Regeln orientieren sich an bestimmten Grenzwerten bei der Belegung von Intensivstationen. Sobald 390 Covid-Patientinnen oder Patienten auf Intensivstationen behandelt werden oder die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz bei 12 liegt, kommen ungeimpfte Erwachsene auch mit einem PCR-Test nicht mehr in Restaurants, Kneipen, Theatern und Kinos hinein.
Zutritt haben dann nur Genesene und Geimpfte. Quasi ein Lockdown für Ungeimpfte und die Spaltung der Gesellschaft. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Druck auf Ungeimpfte tatsächlich fruchtet. Viele Impfgegner werden diese Strategie als Zwang und Eingriff in ihre Freiheitsrechte empfinden und sich erst recht in ihrer Verweigerungshaltung bestätigt fühlen.
Daumenschrauben
Und andere Bundesländer? Weil sie kein anderes Mittel weiß, zieht die Politik dort die Daumenschrauben an. Über den Geldbeutel. In absehbarer Zeit haben diejenigen, die nicht gegen Corona geimpft sind und eine behördliche Anweisung zur Quarantäne erhalten, keinen Anspruch mehr auf Lohnfortzahlung. Die Gefahr dabei: Viele Infizierte könnten mogeln und sich gar nicht bei den Behörden melden.
Von Mitte Oktober müssen die bislang kostenlosen Corona-Tests aus eigener Tasche bezahlt werden. Das gilt bundesweit. Abgesehen davon, ob diese Impfpflicht durch die Hintertür wirkt, trifft diese Strategie die sowieso Benachteiligten in der Gesellschaft. Etwa die, die in prekären Verhältnissen leben, Alleinerziehende und MigrantInnen. Auch die „Ärmel hoch“-Kampagne wird nicht reichen, diese Gruppen zu erreichen.
Das ist mehr gefragt als eine bloße Kampagne: mehr Aufklärung, mehr Kreativität, mehr Mut. Zum Beispiel mobile Impfteams vor Supermärkten, Tankstellen und Discos, in Straßenbahnen, Bussen sowie in den sogenannten Problemvierteln. Von mir aus auch Lockangebote wie Bratwurst oder Freikarten für ein Fußballspiel.
5-Tage-Quarantäne
Kinder sind die kleinsten und neben den älteren Menschen die schwächsten der Gesellschaft. Die, die am meisten geschützten werden sollten. Aber genau bei Kindern und Jugendlichen tritt das Versagen der Politik am deutlichsten zu Tage.
Zwei Jahre lang Pandemie. Zwei Jahre lang Versprechungen. Zwei Jahre lang keinen Plan. Stattdessen immer wieder ein Wust an unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern. Wie beispielsweise für Quarantäne in Schulen und Kitas. Mal mussten neben der infizierten Person nur die Sitznachbarn in Quarantäne, mal die ganze Klasse.
Erst jetzt, da die Schule überall begonnen hat, verabreden die Länder-Gesundheitsminister einheitliche Regeln. Bei Infektionen in Schulen müssen nur noch direkte Sitznachbarn in Quarantäne. Nach fünf Tagen soll man sich freitesten können.
Schwammig
Regelungen, die mal wieder viel zu spät kommen und mal wieder nichts Halbes und nichts Ganzes sind. Besonders uneindeutig und schwammig: die Aussage, dass alle anderen Kinder der Klasse, die nicht als enge Kontaktpersonen gelten, für eine gewisse Zeit intensiv getestet werden sollen.
Was heißt gewisse Zeit und was intensiv? Und welche Tests? Etwa die billigen und unsicheren Schnelltest oder die verlässlicheren, aber teureren PCR Tests? Ein weiterer Mangel der sogenannten bundesweiten Einigung: Es bleibt den Gesundheitsämtern der Länder überlassen, die Quarantäne-Anordnungen zu treffen. Die sind wiederum abhängig von Schutzkonzepten wie Lüftung, Tests und dem Tragen von medizinischen Masken.
PCR-Tests für Schulen
Und genau diese Schutzmaßnahmen regelt jedes Land für sich. Beispielsweise Maskenpflicht im Unterricht für alle Schulen in Bayern. In NRW nur für ältere Schüler. In Sachsen sollen die Schulen selbst ermessen, ob die Maskenpflicht umgesetzt wird. Oder sichere PCR- und Pool-Tests. Die gibt’s nur in Baden Württemberg und Bremen.
Und überhaupt: Ist es überhaupt sinnvoll, die Sitznachbarn in Quarantäne zu schicken? Warum kann man sie nicht täglich vor dem Unterricht testen? Also alles wie gehabt in der deutschen Corona-Politik: Planlosigkeit. Hilflosigkeit. Flickenteppich.
Depressionen
Erneut hat die Politik den Sommer ins Land gehen lassen, ohne vernünftige und einheitliche Schutzstrategien auf den Weg zu bringen. Selbst bei fünf Tagen Quarantäne haben viele Schüler Angst, ihnen drohen Depressionen. Ebenso schlimm: die stetig wachsende Bildungsungerechtigkeit.
Bekanntlich lernen Schülerinnen und Schüler aus weniger begüterten Familien zu Hause nicht so gut wie in der Schule. Sie verfügen weniger über technische Ausstattungen für das digitale Lernen als Kinder aus wohlhabenden Familien. Der 150 Euro-Zuschuss des Bundes für einen häuslichen Computer reicht hinten und vorne nicht, um Kinder aus bildungsfernen Familien, von Alleinerziehenden oder aus Familien mit Migrationshintergrund nicht zurückzulassen.
Plat du Jour
Erfreulicheres Thema: Meine Radtour ins Elsass. Nach Erstein. In dem völlig unbekannten Städtchen gibt es ein Museum eines sehr bekannten Kunstmäzens: das Würthmuseum.
Die Tour beginnt in Freiburg mit Nebel. Erst am Kaiserstuhl vertreibt die Sonne die dicke Suppe. Weiter geht’s am eingedeichten und randvollen Tulla-Rhein. Fünf Kilometer immer geradeaus bei Gegenwind. Nicht sehr schön. Mittagessen im elsässischen Obenheim. Plat du Jour in einem Restaurant mit benachbarten Ponyhof. Kritischer Blick des greisen Restaurantbesitzers auf meine Covid-App mit dem Impfnachweis.
Geduld und Sorgfalt
Das Würth-Museum liegt im ausgedehnten Industriegebiet, sechs Kilometer von Erstein entfernt. Fahrrad-Gegenverkehr auf schmalen Radwegen. Neben uns drohen und brummen die Lastwagen. Aufatmen, als wir endlich vor dem Museum stehen. Auch hier strenge Kontrolle der Covidpass-App, die in Frankreich Gesundheitspass-App heißt.
Das Museum präsentiert großformatige Fotos und vorbereitende Zeichungen der Highlights des Verpackungskünstlers Christo. Etwa vom verhüllten Reichstags in Berlin, von der verhüllten Pont Neuf-Brücke in Paris 1985 oder von den gelb schimmernden „Floating Piers“ am Iseo-See in Norditalien.
Ich staune über die überdimensionalen Zeichnungen, die Christo wohl auf einer Leiter stehend angefertigt hat. Welche Geduld und Sorgfalt! Die tausendfach gesetzten Bleistiftstriche und Schraffierungen sind unglaublich präzise. Eine lohnenswerte Retrospektive.
Ein wenig enttäuschend ist die Stadt Erstein. Aufgerissene Straßen in der City. Dort entsteht gerade eine Fußgängerzone. Aber prächtige und aufwendig restaurierte Fachwerkhäuser. Trotz allem einen Besuch wert.