April 2023 | 15. – 30. April

Warum die Wut auf die Klimakleber vom eigentlichen Problem ablenkt. Warum die Streiks notwendig sind und sich die Machtverhältnisse drehen. Außerdem: Meine Ausstellung in Freiburg im Mai.


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Inhaltsverzeichnis

Meine Ausstellung

Erst die Kunst, dann die Politik: Vom 5.5.2023 bis 30.6. habe ich eine Ausstellung in der Stadtteilbibliothek Freiburg Haslach. Ich zeige 26 semi-expressionistische Aquarelle. Motive: Sehnsuchtsorte in Europa und in den USA. Außerdem zu sehen: acht Werke in Acryl aus meiner „Veggie-Serie“. 

Vernissage ist am Freitag, 5.5.2023, 19 Uhr. Neben meinen Werken sind Arbeiten von Ric da Luz zu sehen, mit dem ich gemeinsam ausstelle. Ric da Luz konfrontiert die Betrachter in seinen digital produzierten Cartoons mit dem Alltags-Wahnsinn aus Politik und Gesellschaft.

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Klima und Kleber

Hitzewellen in Spanien, Wassermangel in Italien. Jetzt schon im Frühling. Und keine Änderung in Sicht. Einmal mehr belegt der jüngste Bericht des europäischen Klima-Beobachtungsdienstes Copernicus die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels.   Europa heizt sich demnach doppelt so schnell auf als jeder andere Kontinent. Ein deutliches Alarmsignal! 

Aber was macht die deutsche Politik? Gibt dem größten Klimaverschmutzer, dem Verkehrssektor, einen Freifahrtschein. Verwässert das eigene Klimaschutzgesetz. Wenn das schon nicht schlimm genug wäre. Anstatt sich ernsthaft und kritisch mit der sogenannten Klimapolitik der Bundesregierung auseinanderzusetzen, ereifert sich die tumbe Mehrheit der Deutschen über die radikalen Klebeaktionen der letzen Generation.

 

Ablenkungsmanöver

Es geht nicht mehr um die Frage, wie es gelingen kann, die Erhitzung der Erde zu begrenzen, um unsere Lebensgrundlagen zu retten. Auch nicht darum, dass die Bundesregierung offenkundig Recht bricht, in dem sie zu wenig für das völkerrechtlich verbindliche Pariser Übereinkommen tut, den Temperaturanstieg unter 1,5 °C zu halten.

Das Ablenkungsmanöver von der Phalanx konservativ-liberaler Politik und Medien hat funktioniert. Es geht ihnen darum, den Protest der letzten Generation als unangemessen zu diskreditieren.

Wer ist der Selbstdarsteller?

Tenor: Die Bösen sind die Klimakleber, sie helfen dem Klima nicht, sondern zerstören die gesellschaftliche Akzeptanz für die Klimapolitik. Allen voran mal wieder mal die FDP. Ihr schnellsprechender Yuppie-Fraktionschef Christian Dürr wirft der letzten Generation ernsthaft vor, dass es ihnen nicht um das Klima gehe, sondern die Aktionen nichts anderes als Wichtigtuerei und Selbstdarstellung seien. 

Eigenschaften, die passgenau auf Porschefahrer und FDP-Chef Lindner zutreffen, der sich nicht entblödet, die Klebe-Aktionen als physische Gewalt zu verhetzen. Der Mann ist und bleibt ein Demagoge.

Weiter-so-Politik

Auch der Grüne Robert Habeck, ganz der Staatsmann, sieht in den Aktivisten der letzten Generation nur Störer, die die Leute verärgern und die Gesellschaft spalten. Statt selbstkritisch einzugestehen, dass die Grünen mit ihren Forderungen nach mehr Klimaschutz auf ganzer Linie an SPD und FDP scheitern, drischt Habeck auf Aktivisten ein. 

Der einst grüne Hoffnungsträger entpuppt sich als Repräsentant einer Politik, die Fortschritt und Klimaschutz mit Füßen tritt und mittlerweile den Kurs des fossilen Weiter-so betreibt.

Gesellschaftsrat

Klar sind die Aktionen der letzten Generation radikal, abnorm und unpopulär. Wer will schon beim Heimweg von der Arbeit im Stau stehen, weil sich auf der Straße jemand an den Asphalt geklebt hat? 

Die Aktionen wirken rücksichtslos, verrückt und unnachgiebig. Jetzt wollen die Klimakleber sogar ganz Berlin lahmlegen. Wow! Demgegenüber sind ihre Forderungen minimal, winzig, geradezu lächerlich: Tempolimit auf Autobahnen, Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets.

Außerdem soll die Regierung einen Gesellschaftsrat aus 160 repräsentativ ausgelosten Mitgliedern einberufen. Der Rat soll Maßnahmen erarbeiten, wie Deutschland die Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030 beendet. Ganz abgesehen davon, dass bei einer Auslosung auch Klimaschutzgegner gezogen werden können, hat ein solcher Rat keine Entscheidungsgewalt sondern allenfalls eine beratenden Funktion. Irgendwie merkwürdig.

Feige

Ich muss gestehen, dass ich den Mut der Aktivisten bewundere. Nicht nur den Mut, auch die Ernsthaftigkeit und Authenzität. Viele opfern ihre Freizeit, manche gar ihre Freiheit, um ihre Forderungen vorzubringen. Forderungen, die eigentlich auch die unseren sind. Ich bin mittlerweile zu feige, zu alt um mich auf die Straße zu setzen. Abgesehen davon, würde das momentan gesundheitlich gar nicht klappen.

Fridays for Future

In jedem Fall kann ich die Verzweiflung und die Wut der Klimakleber nachvollziehen. Die politisch Verantwortlichen haben jahrzehntelang die Appelle und Warnungen von WissenschaftlerInnen ignoriert. 

Auch die Massendemos für mehr Klimaschutz haben nicht gefruchtet, sondern statt Druck nur Frust ausgelöst. Folge: die netten Kiddys von Fridays for Future bringen mittlerweile kaum mehr Leute auf die Straße. Der Protest droht zu verpuffen. 

Da ist es nur legitim, andere wirkungsvolle Protestformen zu finden. Nur Proteste, die die Routine der satten Wohlstandgesellschaft stören, werden wahrgenommen. Politik braucht Druck, weil – wie man sieht – sonst wenig bis gar nichts passiert.

Harte Urteile

Die Aktionen sind teilweise schwer nachzuvollziehen, dennoch habe ich Hochachtung vor Menschen, die bereit sind, für ihre Aktionen hart bestraft zu werden und sogar in den Knast zu gehen. Obwohl die jetzt harten Haftstrafen-Urteile in keinem Verhältnis stehen zum Kern und Anliegen der Klimakleber. 

Zum Glück sind die Urteile noch nicht rechtskräftig, die Betroffenen haben die Möglichkeit, Berufung einzulegen. Das ist gut so. Schließlich waren und sind die Aktionen bis jetzt gewaltfrei. Und bis jetzt scheint es den Klimaklebern zu gelingen, eine Rettungsgasse für Einsatzfahrzeuge bereitzuhalten. Das ist auch zwingend notwendig. Jedoch über die Frage, in wieweit hier Nötigung vorliegt und strafbar ist, wird wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Warum die Aufregung?

Klar ist es ärgerlich, wegen Klimakleber-Stau zu spät zur Arbeit zu kommen oder gar den Urlaubsflieger zu verpassen. Aber Hand aufs Herz: Diese Folgen einer Autobahn- oder Flughafenblockade sind doch banal im Vergleich zu den Folgen, die die Klimakrise in den nächsten Jahren mit sich bringen wird. Jedoch unbestritten bleibt, dass die Aktionen Tausende Menschen wütend machen.

Warum ist die Aufregung über die Proteste eigentlich dermaßen krass? Weil die Menschen spüren, dass es mit dem Klimaschutz ans Eingemachte geht. Es geht um mehr als die bittere Erkenntnis, dass Klimaschutz teuer wird. Nicht nur, was neue Heizungen betrifft.

Verlustangst

Die Menschen spüren, dass sich etwas radikal ändern wird. Dass alte Gewohnheiten aufgegeben werden müssen. Das löst Verlustängste aus. Viele wollen nicht einsehen, dass es nicht mehr möglich sein soll, mit dem Verbrenner-Auto zur Arbeit oder zum Einkaufen in die Innenstadt zu fahren. Haben wir doch immer so gemacht. Manche wiederum beharren auf ihrer Freiheit, das zu tun, was sie wollen. Der Abschied von Gewohnheiten in einer Wohlstandsgesellschaft fällt eben schwer.

Illusion

Der Mensch begreift jedoch erst, dass er sein Verhalten ändern muss, wenn er die unmittelbaren Konsequenzen persönlich erfährt. Erst dann ist er bereit, selbst zu handeln oder Konsequenzen zu akzeptieren, die massive Einschränkung erfordern. Das heißt aber nicht, dass wir uns jetzt alle eine Katastrophe wie an de Ahr „herbeiwünschen“ sollten. 

Wir alle müssen uns wirklich und ernsthaft davon verabschieden, dass ein Weiter-so problemlos möglich ist. Das ist eine Illusion. Dringend notwendig ist, dass wir alle unsere Lebensweise ändern: weniger fliegen, weniger Fleisch essen und weniger Auto fahren. Je eher wir damit anfangen, desto besser.

Kein Bock auf Arbeit?

Da ist noch ein Thema, was auf den Nägeln brennt. Die sich häufenden Streiks auf der einen Seite: in Kitas, Kliniken, auf Flughäfen und bei der Bahn. Auf der anderen Seite das Gezetere und Gejammere der Arbeitgeber. 

Sie meckern nicht nur über die ihrer Meinung nach maßlosen Lohnforderungen, sie schimpfen ebenso über die Arbeitsmoral der jungen Menschen. Diese seien faul, hätten keinen Bock auf Arbeit. Allen voran Arbeitgeberpräsident Steffen Kampeter.

Schwarze Zukunft?

Der fordert doch tatsächlich „mehr Bock auf Arbeit“. Ansonsten stehe es schlecht um die Zukunft Deutschlands. Kampeter beruft sich auf eine Untersuchung, nach der junge Erwerbstätige Lohnarbeit als immer weniger wichtig betrachten. 2020 meinten noch 69 Prozent, sie könnten sich ein Leben ohne einen Beruf nicht vorstellen, 2022 waren es nur noch 58 Prozent. Oh je, Hilfe! Bahn-Aufsichtsratmitglied Kampeter sieht jetzt schwarz für Deutschlands Zukunft.

Kapitalisten-Angst

Man sieht die Herren und Damen Kapitalisten und ArbeitgeberInnen haben Muffesausen. Sie haben Angst, fürchten um ihre Profite. Der wahre Grund: Der eklatante Mangel an Arbeitskräften. Die fehlenden Arbeitskräfte verschieben das Machtverhältnis von Arbeit und Kapital. 2010 gab es noch etwa 800 000 offene Stellen, heute liegt die Zahl bei fast zwei Millionen. 

Wenn man so will, hat sich hier das Verhältnis von Angebot und Nachfrage verschoben und damit auch der Preis. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist groß, also steigt der Preis für die Arbeitskraft. Das schlägt sich momentan in einer guten Verhandlungsposition für Arbeitnehmer nieder. Und die haben auch allen Grund hoch zu pokern und eine bessere Bezahlung zu fordern.

Niedriglohnsektor

Die Preise für Lebenshaltungskosten steigen exorbitant wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Inzwischen ist die Inflation gesunken, liegt aber immer noch bei sieben Prozent. Die Lebenshaltungskosten steigen weiter. Das trifft vor allem Menschen mit geringeren Einkommen. 

Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 2500 Euro sind kaum noch in der Lage, die regelmäßigen Ausgaben zu stemmen. Da kommen neben der Inflation mehrere Gründe zusammen. Ein gewichtiger Grund: der immens große Niedriglohnsektor. Seit Jahren arbeiten rund 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland zu Niedriglöhnen – so viele wie in keinem anderen Land Europas.

Reallohnverlust

Ein weiterer Grund, der Reallohnverlust: Das dritte Jahr in Folge sind die Löhne geschrumpft Unter dem Strich um mehr als vier Prozent. Gleichzeitig melden viele Firmen für das Jahr 2022 Rekordgewinne – trotz Lieferschwierigkeiten, Corona und Ukrainekrieg. 

Auch der Staat hat dank der hohen Inflation viel Geld eingenommen. Kein Wunder, wenn  die Beschäftigen einen kräftigen Schluck aus der Pulle wollen: ErzieherInnen, Kranken- und AltenpflegerInnen, PostbotInnen, Bahnbedienstete, BusfahrerInnen, Verwaltungsangestellte.

Sie alle werden mies bezahlt, ächzen unter dem Arbeitsdruck wegen des Personalmangels. Jetzt nutzen sie die Gunst der Stunde und fordern bessere Bezahlung und mehr Geld. Recht so.

Ablenkung

Trotzdem zögern Arbeitgeber in Staat und in Wirtschaft mit Lohnerhöhungen. Mehr noch: Wenn Arbeitgeber sich über die Abneigung der jungen Leute, für Lohn zu arbeiten, beschweren, lenken sie vom Kern des Problem ab: vom strukturellen Wandel des Arbeitsmarktes und der miesen Bezahlung. 

Es geht mitnichten darum, individuelle Entscheidungen für den Arbeitskräftemangel verantwortlich zu machen, auch nicht um Tugend und Moral. Es geht um die unterschiedlichen Interessen von Beschäftigten und Arbeitgebern, um den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital. Hier hat sich das das Kräfteverhältnis verändert. Momentan zugunsten der Beschäftigten.

So einfach!

Jüngst habe ich mich KrankenpflegerInnen aus der Schweiz unterhalten, die in Zürich, bzw. Basel in Kliniken arbeiten. Sie wunderten sich über das Gejammere über den Arbeitskräftemangel in Deutschland und kommentierten lapidar: „Bezahlt doch die Menschen besser, dann gibt’s keine Probleme.“ So einfach ist das.

Ein Kommentar

  • Ich kann es nicht mehr lesen und hören, den mediengesteuerten Hass auf die Klimakleber. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Wir sind die wahren Klimakleber. Wir satten, etablierten und blasierten Kleinbürger. Wir kleben an unseren lieb gewonnenen Gewohnheiten fest, fliegen um die Welt, fressen weiter Fleisch und fahren mit dem Wohnmobil in den Urlaub. Das ist es, was sich radikal ändern muss. Und nicht die unliebsamen Methoden der letzten Generation!

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